Asyl in Europa – Verteilungsoptionen in der EU

Asylbewerber in der EU - Verteilung und Verteilungsoptionen

Verteilungsoptionen

Die Grafik zeigt die realen Zahlen der Asylbewerber im ersten Halbjahr 2015 und deren theoretische Gleichverteilung nach Einwohnerzahlen (rote Kreise) oder Wirtschaftsleistung (mattgründe Rauten) in den 16 bevölkerungsreichsten Ländern der damals 28 EU-Mitgliedstaaten, also inklusive Großbritanniens. Anhand dieser Konzen­trationsmaße lässt sich bestimmen, inwieweit die Asylbe­werber gleich verteilt waren oder ob sie sich innerhalb der EU in einzelnen Ländern bündelten.

Das erste Halbjahr 2015 wurde als Referenz gewählt, weil sich in diesem Zeitraum die Problematik der Verteilung von Schutzsuchenden besonders deutlich manifestierte. Diese Problematik bleibt bestehen und wird sich bei jeder neuen "Zuwanderungswelle" wieder manifestieren - und eine Lösung wird vermutlich so unwahrscheinlich sein wie bisher.

a. Verteilung nach Einwohnerzahl

Nimmt man als Maßstab die Einwohnerzahl der EU-Staaten, so hat bei der aktuellen Welle im ersten Halbjahr 2015 die Konzentration auf einzelne Länder erheblich zugenommen. Besonders viele Asylsuchende entfielen auf Ungarn, Österreich, Schweden und Deutschland. Vergleichsweise wenige Asylanträge wurden dagegen – abgese­hen von Ungarn – in den osteuropäischen Staaten, in Südeuropa sowie in größeren EU-Staaten wie Frankreich oder dem Vereinigten Königreich gestellt.

b. Verteilung nach Wirtschaftsleistung

Zieht man die Wirtschaftsleistung, gemessen als Bruttoinlandsprodukt (BIP), als Maßstab heran, dann hatten auch das wirtschaftlich schwache Bulgarien sowie das krisengeplagte Griechenland vergleichsweise viele Asylanträge zu verbuchen. Auch Ungarn, Österreich, Schweden und Deutschland waren mit Blick auf ihre Wirtschaftskraft relativ stark von den Asylwanderungen tangiert.

Ausführliche Analysen und Erkenntnisse finden Sie weiter unten.

Diese interne Webseite enthält nähere Angaben zum Schengenraum
• Der Schengenraum - Raum ohne Grenzen


Analysen und Erkenntnisse

Die nachfolgende Bewertung basiert u.a. auf Erkenntnissen aus dem Bericht mit dem etwas sperrigen Titel "Datenreport 2016 - Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland" - hier: Kapitel 8 "Flüchtlinge".

Den lesenswerten Gesamtreport finden Sie unter dem externen Link
• Datenreport 2016 (Bundeszentrale für politische Bildung)

(1) Asylwanderungen in die EU

Flüchtlinge, die ihrer Heimatregion den Rücken kehren, machen nicht vor Landes­grenzen halt. Entsprechend wäre ein gemeinsames europäisches Handeln in der Asylpolitik notwendig – zumal die Grenzen innerhalb der EU offen und ihre Außengrenzen recht durchlässig sind. Eine gemeinsame Asylpolitik gibt es nicht.

Geht man von der Zahl der Asylanträge aus, gab es drei Zuwanderungswellen in die EU: zum einen Anfang der Neunziger­jahre, zum zweiten kurz nach der Jahrtausendwende und zum dritten die aktuelle Flüchtlingswelle. Anhand einschlägiger Konzen­trationsmaße lässt sich bestimmen, inwieweit die Asylanträge und somit die Asylbe­werber gleich verteilt waren oder ob sie sich innerhalb der EU in einzelnen Ländern bündelten.

(2) Verteilung nach Einwohnerzahl

Als Maßstab kann etwa die Einwohnerzahl der EU-Staaten herangezogen werden. In der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre waren Asylsuchende recht ungleich in der damals nur aus 15 Staaten bestehenden EU verteilt; gemäß des hier gewählten Konzentrationsmaßes hätten ungefähr 40% der Asylsuchen­den in der Gemeinschaft umverteilt werden müssen, um eine gleichmäßige Verteilung herzustellen.

Anfang der Neunzigerjahre nahm die Ungleichverteilung noch weiter zu; danach ging sie immer mehr zurück. Bei der zweiten Flüchtlingswelle kam es nicht zu einer Konzentration auf einzelne EU-Länder. Die nach der Jahrtausendwende insbeson­dere wegen des Irak-Krieges Zugewanderten wurden einigermaßen gleichmäßig aufgenommen.

Das ist bei der aktuellen dritten Welle wieder anders, denn die Konzentration auf einzelne Länder hat wieder erheblich zugenommen. Durch die EU-Erweiterungen ist die Ungleichverteilung sogar gewachsen; die seit 2004 der EU beigetretenen Staaten haben insgesamt vergleichsweise wenige Flüchtlinge aufgenommen.

Überdurchschnittlich viele Asylanträge nahmen – gemessen an ihrer Einwohnerzahl – im ersten Halbjahr 2015 nur neun der 28 EU-Staaten entgegen. Besonders viele Asylsuchende entfielen auf

  • Ungarn
  • Österreich
  • Schweden (wohin gut 70 Prozent mehr Asylbewerber als bei einer unterstellten Gleich­verteilung kamen)
  • Deutschland (60% mehr)
  • Malta (fast 60%)

Vergleichsweise wenige Asylanträge wurden dagegen – abgese­hen von Ungarn – in den osteuropäischen Staaten, in Südeuropa sowie in größeren EU-Staaten wie Frankreich oder dem Vereinigten Königreich gestellt. Auffallend ist, dass auch auf die Niederlande und auf Dänemark vergleichsweise wenige Asylanträge entfielen. Diese Länder hatten früher recht viele Flüchtlinge aufgenommen; hier macht sich inzwischen eine restriktivere Asylpolitik bemerkbar.

(3) Verteilung nach Wirtschaftsleistung

Zieht man statt der Einwohnerzahl die Wirtschaftsleistung (das Bruttoinlandsprodukt) als Maßstab heran, dann hatten auch das wirtschaftlich schwache Bulgarien sowie das krisengeplagte Griechenland vergleichsweise viele Asylanträge zu verbuchen. Ungarn, Österreich, Schweden und Deutschland waren auch mit Blick auf ihre Wirtschaftskraft relativ stark von den Asylwanderungen tangiert.

Insgesamt zeigt sich auch mit Blick auf die Wirtschaftskraft: Wenige Staaten nahmen im ersten Halbjahr 2015 vergleichsweise viele Asylbewerber auf; die allermeisten EU-Staaten waren unterdurchschnittlich betroffen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat die Ungleich­verteilung seitdem angesichts der wachsenden, auf Mitteleuropa ausgerichteten Wanderungsbewegungen noch zugenommen.

(4) Herkunftsregionen

Die in die EU einreisenden Asylsuchenden stammen vor allem aus vier Regionen:

  1. dem Osten Europas,
  2. den nicht zur EU gehörenden Balkangebieten,
  3. den unterhalb der Sahara liegenden Teilen Afrikas sowie – und vor allem –
  4. aus Vorderasien.

Hinzu kommen Pakistan und Afghanistan. An vorderer Stelle rangieren Flüchtlinge aus Syrien.

(5) Zielländer

Es stellt sich die Frage, ob die Flüchtlinge einer bestimmten Staatsangehörigkeit bestimmte Zielländer bevorzugen und andere eher nicht. Hierbei steht die absolute Konzentration bestimmter Flüchtlingsgruppen auf einzelne Länder der EU im Vorder­grund; die Bedeutung eines Landes etwa mit Blick auf dessen Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft ist dabei weniger von Belang.

Von den Asylsuchenden aus den zwölf wichtigsten Herkunftsländern waren allein diejenigen aus Pakistan und Somalia im ersten Halbjahr 2015 relativ breit in der EU verteilt. Schon stärker war die Konzentration bei den Personen aus manchen Sub-Sahara-Gebieten, aus Russland, Syrien und Afghanistan. Noch viel ungleicher waren die Flüchtlinge aus den Balkangebieten in der EU verteilt. Im Vergleich zum Beginn der aktuellen Flüchtlingswelle – also dem Jahr 2012 – hat mit Blick auf die Nationalität der Flüchtlinge ihre Konzentration innerhalb der EU meist zugenommen. Eine Ausnahme stellen die Somalis, die Iraker, die Pakistanis und die Syrer dar.

Deutschland nahm von vielen Nationalitäten den größten Anteil an Flüchtlingen auf. Das ist auch nicht erstaunlich, weil die Bundesrepublik mit 16% der Einwohner das bevölkerungsreichste Land der EU ist. Ein weit überdurchschnittlich hoher Anteil an Personen aus den nicht zur EU gehörenden Balkanländern reiste 2015 nach Deutsch­land ein. Auch verhältnismäßig viele Flüchtlinge aus Vorderasien suchten sich Deutschland als Zielland aus. Für Pakistanis und Afghanen war Ungarn ein wichtiges Zufluchtsgebiet, und für Nigerianer war es Italien.

(6) Der Ankereffekt
(oder auch: Netzwerkeffekt)

Generell lässt sich feststellen, dass diejenigen Zielländer, die schon 2012 relativ viele Asylsuchende einer bestimmten Nationa­lität aufnahmen, dies auch im ersten Halbjahr 2015 taten. Das zeigt sich am statistischen Zusammenhang zwischen dem Anteil der Verteilung der Flüchtlinge einer bestimmten Nationalität auf die einzelnen EU-Länder. Besonders ausgeprägt ist der Zusam­menhang bei der Verteilung der Serben, der Mazedonier, der Russen, der Iraker und der Syrer. Etwas schwächer, aber immer noch stark ausgeprägt ist er im Falle der Somalis und Pakistanis.

Bei all diesen Nationalitäten macht sich vermutlich der sogenannte Ankereffekt oder  Netzwerkeffekt bemerkbar: Flüchtlinge bevorzugen diejenigen Länder, in die es Lands­leute von ihnen zuvor schon gezogen hat. Das hilft zum einen beim Erlernen landesspezifischer Gewohn­heiten und Regeln oder bei der Wohnungssuche, zum anderen aber birgt es die Gefahr der Ghettobildung und des Entstehens von Parallelgesellschaften.

Bei den Flüchtlingen aus Albanien, dem Kosovo, aus Afghanistan, Nigeria und Somalia zeigt sich indes nur ein schwacher oder gar kein Zusammenhang zwischen ihrer Verteilung auf die EU-Länder im Jahr 2012 und im ersten Halbjahr 2015. Das ist auch Ausdruck einer veränderten Praxis der Asylgewährung mancher EU-Staaten. Frankreich etwa gewährt mittlerweile viel weniger Personen vom Balkan Asyl, während in das Vereinigte Königreich im ersten Halbjahr 2015 vergleichsweise wenige Afghanen migrierten.