Die Fieberkurve des Krieges

Die Fieberkurve des Krieges

Bewaffnete Konflikte von 1945 bis heute

Betrachtet man die Fieberkurve des Krieges, so stellt sich zunächst die Grundfrage: Was ist ein "Krieg"? Wo liegt der Unterschied zu einem sonstigen bewaffneten Konflikt? Lässt sich Krieg definieren nach

  • der Anzahl der an einem bewaffneten Konflikt teilnehmenden Akteure?
  • der Organisationsstruktur der Konfliktparteien?
  • der Zahl der militärischen und/oder zivilen Opfer?
  • der Dauer des Konflikts?
  • den Motiven der Konfliktparteien?

Diese Fragen lassen sich nicht allgemein akzeptierbar beantworten. Die in der Grafik gezeigten Fieberkurven sind jedoch dann in sich schlüssig, wenn die gleiche Definition von Krieg durchgängig angewendet wird. Das Schaubild verdeutlicht zweierlei: Die Anzahl der bewaffneten Konflikte und die Veränderung der Erscheinungsform.

Anzahl der bewaffneten Konflikte

Die Zahl der bewaffneten Konflikte hatte sich bis in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts hinein deutlich verringert. Die Menschheit hatte nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, salopp gesagt, die Schnauze voll.

In den 60er-Jahren verdreifachte sich jedoch die Zahl der Konflikte, vor allem aufgrund der Entkolonialisierungs- und Befreiungskriege in Afrika und Asien, und bis zum Zusammenbruch des Ostblocks und damit dem Ende des Ost-West-Antagonismus stieg die Zahl auf mehr als vier Dutzend Kriege an.

Danach sanken die Zahlen deutlich und nährten die Hoffnung auf Fukuyamas "Ende der Geschichte", also einer friedlichen Welt, in der sich Demokratie und liberale Wirtschaftsstrukturen durchsetzen würden. Aber weit gefehlt: Seit Ende der 90er Jahre stabilisiert sich die Fieberkurve bei etwa dreißig Konflikten, wobei aufgrund der jüngsten Entwicklungen der internationalen Beziehungen zu befürchten ist, dass die Zahl der Konflikte wieder steigt.


Die Erscheinungsformen der bewaffneten Konflikte

Die Erscheinungsformen des Krieges haben sich grundlegend verändert. Während in der Mitte des 20. Jahrhunderts der "klassische" duellhafte Krieg im Mittelpunkt stand (und zur Befriedung dieser Kriegsform war die UNO gegründet worden), mischten sich seit den 50er- und 60er-Jahren innerstaatliche Konfliktformen (also Bürgerkriege bzw. bürgerkriegsähnliche Erscheinungsformen) ein. Hierzu musste die UNO erst neue Befriedungsverfahren entwickeln, z.B. die sogenannten Blauhelm-Aktivitäten, die in der Charta der Vereinten Nationen in dieser Form explizit gar nicht vorgesehen waren.

Spätestens seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts kam eine neue Kriegsform hinzu, die in dem obigen Schaubild als "außerstaatliche Konflikte" (oft auch als "überstaatliche Konflikte" bezeichnet) dargestellt ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Konfliktform, die nicht in die bisherigen Schemata passte und deshalb erst allmählich in das öffentliche Bewusstsein trat:

  • weder gibt es eine duellhafte Auseinandersetzung,
  • noch gibt es einen unmittelbar sichtbaren Feind (von militanten Terrororganisationen wie dem sog. "Islamischen Staat" abgesehen)
  • und oft gibt es noch nicht einmal einen sich "bekennenden" Gegner.

Diese neue Kriegsform wird völlig neue Bekämpfungsmethoden erfordern, und das militärische Element wird deutlich in den Hintergrund treten. Es wird deshalb lange dauern, bis die neue Bedrohung wirklich als permanent existent und als "Krieg" (an)erkannt wird.

Anmerkung: Ende Juli 2016 benutzte die Bundeskanzlerin in ihrer Sommer-Pressekonferenz in Bezug auf die jüngsten islamistischen Terroranschläge in Deutschland erstmals den Begriff Krieg: "Ich glaube, dass wir in einem Kampf oder meinetwegen auch in einem Krieg gegen den IS sind".


Kommentar

Zeitenwende. 11. September 2001. Terroranschläge in New York und Washington. "Wir befinden uns im Krieg. Dies ist der erste Krieg des 21. Jahrhunderts" - so sinngemäß der amerikanische Präsident George W. Bush. Falsch, Mr. President! Dies ist der erste globale Krieg des neuen Jahrhunderts, und es ist der erste Krieg, in dem die USA unmittelbar ge- und betroffen sind.

Aber fassen wir uns an die eigene Nase: Wer denkt schon beim Abendessen, während die Nachrichten ins Wohnzimmer flimmern, daran, dass täglich Kriege stattfinden? Seien wir ehrlich: Wir alle unterliegen einer selektiven Wahrnehmung. Nur diejenigen bewaffneten Konflikte, bei denen die Medien vor Ort sind, Satellitenantennenstädte aufgebaut wurden und von dort unmittelbar und ständig informiert wird, nehmen wir zur Kenntnis. Der Rest wird verdrängt, Informationen nutzen sich ab, die Welt wird selektiv wahrgenommen.

Die Lücke füllen zunehmend soziale Medien, über die unmittelbar und vor Ort von Konflikten berichtet wird - allerdings auch verbunden mit der Gefahr der Manipulation...

Und - haben Sie es bemerkt? Auch wir benutzen viel lieber die Terminologie "bewaffneter Konflikt" für eine kriegerische Auseinandersetzung. "Krieg" - das hört sich so drastisch an...


Hinweis
Eine Analyse potentieller Konfliktherde zwischen der westlichen Welt und besonders friedens- bzw. stabilitätsgefährdenden Staaten - vom damaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush und anderen als "Schurkenstaaten" bezeichnet, die auf einer "Achse des Bösen" liegen - finden Sie auf der nachfolgenden internen Webseite.
•  Die "Achse des Bösen" und der Irakkrieg 2003