SPOTLIGHT: Am 26. April 2022 gelang ein "Reförmchen" des UN-Sicherheitsrats: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat einvernehmlich eine Resolution verabschiedet, die nach jedem Einsatz eines Vetos durch die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat innerhalb von zehn Tagen eine Sitzung der Vollversammlung verlangt. In diesem Gremium mit allen Vertretern der 193 Länder müssten sich die Staaten, die von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht haben, dann rechtfertigen. Allerdings: Die Resolution ist unverbindlich (non-binding) - ein Veto kann, muss aber nicht erklärt werden...
Historie der Reformvorschläge
Die Reform des Sicherheitsrats (SR) der Vereinten Nationen und seine Anpassung an die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhundert ist dringend geboten. Ohne Reform läuft der SR Gefahr, weiterhin an Legitimität und Autorität zu verlieren. Bisherige Eckdaten waren (siehe Grafik)
1945
Nach Inkrafttreten der Charta der Vereinten Nationen hatte der SR zunächst 11 Sitze, davon 5 ständige und 6 nichtständige.
1965
Nach der ersten Welle der Dekolonialisierung, in der zahlreiche neue Staaten entstanden, wurde der SR 1965 das bisher einzige Mal "reformiert", indem er um 4 nichtständige Sitze erweitert wurde. Er umfasst seitdem 15 Sitze.
1989 ff.
Die grundlegend veränderten weltpolitischen Realitäten nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und ein weiteres starkes Anwachsen der Mitgliederzahl der Vereinten Nationen führten zu erneuten Diskussionen über eine weitere Anpassung der Mitgliederzahl des SR. 1992 forderte eine Konferenz der Blockfreien in Jakarta nachdrücklich eine Reform des SR. Die UN-Generalversammlung setzte daraufhin 1993 eine Arbeitsgruppe ein, die sowohl eine Erweiterung des SR als auch eine Reform seiner Arbeitsmethoden einschließlich des Vetorechts prüfen und Vorschläge unterbreiten sollte.
1997
In dieser Arbeitsgruppe wurde vom damaligen Präsidenten der Generalversammlung, dem malaysischen Botschafter Razali, ein erster konkreter Vorschlag zur Reform des SR vorgelegt ("Razali-Plan"). Seine Kerngedanken: Die Erweiterung des SR auf 24 Sitze durch die Schaffung von 5 neuen ständigen und 4 nichtständigen Sitzen. Eine Ausweitung des Vetorechts auf neue ständige Mitglieder war nicht vorgesehen. Der Razali-Plan kam nicht zur Abstimmung (vor allem die USA waren entschieden gegen einen Umfang des SR von mehr als maximal 22 Sitzen). Da die Arbeitsgruppe für alle Mitgliedsstaaten offen war und nach dem Konsensprinzip (Entscheidungen nur bei Zustimmung aller Mitglieder) arbeitete, kam es zwar zu ausgedehnten Debatten, aber nie zu einer Entscheidung.
2003 - Auftrag an die "Hochrangige Gruppe"
Die Debatte um die Reform des SR belebte sich erst wieder nach dem 3. Golfkrieg. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, gab bei einer Gruppe international angesehener Politiker und Diplomaten ("Hochrangige Gruppe") einen Bericht in Auftrag, der (1) die wichtigsten Bedrohungen der internationalen Sicherheit analysieren; (2) Wege zu ihrer Prävention und Bekämpfung aufzeigen; (3) Vorschläge für die dafür erforderlichen institutionellen Reformen (UN-Reform)
machen sollte.
2004 - Bericht der "Hochrangigen Gruppe"
Die Reformvorschläge dieser "Hochrangigen Gruppe" erschien im Dezember 2004 unter dem Titel: "Eine sicherere Welt – unsere gemeinsame Verantwortung". Er empfiehlt – wie der Razali-Plan - eine Erweiterung des SR um 9 Sitze und schlägt dafür zwei alternative Modelle (A und B - siehe Grafik) vor:
Modell A: 6 neue ständige und 3 neue nichtständige Sitze, alle ohne Vetorecht.
Modell B: 8 Sitze einer neuen Kategorie mit vierjähriger Amtszeit und unmittelbar anschließender Wiederwahlmöglichkeit und 1 neuer nichtständiger Sitz (die gegenwärtig existierenden nichtständigen Sitze haben eine zweijährige Amtszeit und keine unmittelbare Wiederwahlmöglichkeit). Auf diesen Sitzen sollen sich eine Reihe nach bestimmten Kriterien ausgewählter "mittlerer" Staaten ablösen.
Der Bericht befürwortet außerdem die Neuordnung des bestehenden Regionalgruppensystems und schlägt 4 globale Regionalgruppen ("Weltregionen") vor: Amerika, Europa, Afrika sowie Asien & Pazifik.
2005 - Reformbericht des Generalsekretärs
Generalsekretär Kofi Annan hat in einem konsolidierten Reformbericht "In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte für alle" vom 21. März 2005 die beiden Modelle der "Hochrangigen Gruppe" übernommen. Er empfahl den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, möglichst noch vor dem UN-Gipfel zur Überprüfung der Millenniumserklärung (14.-16. September 2005), auf jeden Fall aber vor Jahresende 2005 zu einer Entscheidung über die Reform des SR zu kommen.
Ausgehend von dem Bericht der von Kofi Annan eingesetzten "Hochrangigen Gruppe" soll die folgende kritische Analyse der Reformvorschläge die ganze Problematik einer Reform des Sicherheitsrats (SR) verdeutlichen.
Analyse
Der Bericht schlägt - zu Recht - die Neuordnung des bestehenden überholten Regionalgruppensystems vor. Die Sitzverteilung soll künftig nach 4 "Weltregionen" erfolgen (siehe Grafik): Afrika, Amerika, Europa sowie Asien & Pazifik.
Die Hochrangige Gruppe hat die Regionen so eingeteilt, dass in diesen in etwa die gleiche Anzahl von Staaten zu finden ist. Zu beachten ist, dass Russland großzügig der Gruppe Europa zugeschlagen wird. Vergleicht man die Regionen nun mit den tatsächlichen sowie den vorgeschlagenen Sitzen (die Grafik berücksichtigt hierbei aus Gründen der Übersichtlichkeit nur das Modell A (6 neue ständige Sitze ohne Vetorecht), so kommt man zu erstaunlichen Erkenntnissen:
- In keinem der Reformvorschläge wird an den 5 ständigen Sitzen mit Vetorecht gerüttelt. Eine Änderung in diesem Bereich wäre auch kaum durchsetzbar, könnte doch jede einzelne Vetomacht mit ihrem Veto jede Reform verhindern. Da hier aber die eigentliche Crux des Sicherheitsrates liegt, wird jede Reform ein kosmetisches "Reförmchen" bleiben.
- Bei den ständigen Sitzen mit Vetorecht ist und bleibt Afrika unberücksichtigt, Asien (wenn man ihm Russland nicht zurechnet) und Amerika sind unterrepräsentiert, Europa deutlich überrepräsentiert.
- Die vorgeschlagenen neuen ständigen Sitze würden dies zwar ausgleichen, sind jedoch (da ohne Vetorecht) eher kosmetischer Natur.
Noch überraschender sind die Erkenntnisse, die man gewinnt, wenn man die vorgeschlagene Erweiterung auf 24 Sitze so aufteilt, dass sie dem Anteil der Regionen an der Weltbevölkerung entspricht. Legt man diesen Maßstab an - und der Mensch, nicht der Staat, sollte doch im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen - so müssten sich die Sitze wie folgt verteilen: Europa 2, Afrika und Amerika je 3, Asien/Pazifik 16 (!) Sitze.
Nun reformieren Sie mal schön...
Weitere Vorschläge von "Interessengruppen"
G4-Vorschlag
Die sogenannte G4-Gruppe (Brasilien, Deutschland, Indien und Japan) sowie rund 30 weitere Staaten legten Mitte 2005 einen eigenen Entwurf vor. Dieser sieht eine Erweiterung des Rates um insgesamt 10 Sitze vor: 6 ständige Sitze (je zwei für Afrika und Asien, je einer für die westlichen Staaten sowie für Lateinamerika & Karibik) und 4 nichtständige Sitze vor (je einen für Afrika, Asien, Lateinamerika & Karibik sowie Osteuropa). Ob das Veto-Recht auch den neuen ständigen Mitgliedern zuerkannt wird, soll erst auf einer Überprüfungskonferenz 15 Jahre nach Inkrafttreten der Chartaänderung beraten und beschlossen werden (also frühestens 2020).
Afrikanischer Vorschlag
Die afrikanischen Staaten legten Mitte 2005 einen eigenen Resolutionsentwurf vor, der sich im Grundkonzept mit dem der G4 deckt. Davon abweichend wird jedoch das Veto-Recht für neue ständige Mitglieder sowie ein zweiter zusätzlicher nichtständiger Sitz für Afrika gefordert. Ein in London zwischen den Außenministern der G4 und Vertretern der Afrikanischen Union (AU) erwogene Kompromiss (Veto-Recht gemäß G4-Resolution und Schaffung eines 26. nichtständigen Sitzes, der zwischen den Regionen Afrika, Asien und Lateinamerika & Karibik rotiert) wurde vom anschließenden Sondergipfel der AU nicht bestätigt.
Konsens-Vorschlag
Von der sogenannten "Geeint für den Konsens"-Gruppe wurde ein dritter Vorschlag vorgelegt, der eine Erweiterung des SR um 10 nichtständige Sitze sowie eine Aufhebung des unmittelbaren Wiederwahlverbots vorsieht.