Lissabonner Strategie für Wachstum und Beschäftigung
(kurz: Lissabon-Strategie)
Machen Sie einmal den Test und stellen Sie in Ihrem Bekanntenkreis die Frage, wer schon einmal etwas von der Lissabon-Strategie, dem Lissabon-Prozess oder gar von einem "nationalen Lissabon-Koordinator" gehört hat. Man wird Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nur verständnislos anschauen. Dabei geht es um einige der wichtigsten Aspekte der europäischen Entwicklung, nämlich Wachstum und Beschäftigung.
Der folgende Beitrag gibt die Fakten und eine eigene Bewertung der Lissabon-Strategie wieder. Worum ging es?
Die Lissabon-Strategie aus dem Jahr 2000
Im März 2000 stellten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf dem Lissabonner Gipfel eine neue Strategie vor, die darauf abzielt, Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit in Europa bei gleichzeitiger Förderung der sozialen Integration dauerhaft zu steigern. Damit sollten insbesondere die Herausforderungen angenommen werden, welche die Globalisierung mit sich bringt, und die für alle Staaten Europas ganz ähnlich sind.
Das Ziel
Auf dem Gipfel von Lissabon wurde ein ehrgeiziges Ziel gesetzt:
"Europa soll bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt werden."
Zu diesem Zweck sollten bis 2010 u.a. ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 3% erreicht und 20 Millionen Arbeitsplätze geschaffenen werden. Ferner wurden die wichtigsten, hierzu erforderlichen Schritte benannt: weit reichende Reformen auf europäischer und nationaler Ebene in Bereichen wie makroökonomische Politik, Unternehmen, Forschung und Entwicklung, Marktöffnung und Umwelt.
Die Akteure
Die Strategie basiert auf einer Partnerschaft zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten, wobei aber auch dem Europäischen Parlament und anderen EU-Organen eine wichtige Rolle zukommt. Hauptverantwortlich sind die nationalen Regierungen, die mit eigenen Reformprogrammen, unterstützt durch die EU, die oben genannten Probleme angehen sollen, um so Europa fit für das 21. Jahrhundert machen.
Weiterführende externe Links
- Lissabon-Strategie
(in: Europa-Lexikon der Bundesregierung) - Lissabon-Strategie (Endstand 2010)
(Archiv der Europäischen Kommission - auch in Deutsch verfügbar)
Der Neu-Start der Lissabon-Strategie im Jahr 2005
Hintergrund
Im Frühjahr 2005 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU eine "Erneuerung" der Lissabon-Strategie: zwar wollte man grundsätzlich am Wachstumsziel der Lissabon-Strategie festhalten, die Maßnahmen sollten aber auf wenige Teilziele begrenzt werden. Zudem sollten die Mitgliedsstaaten ihre Reformanstrengungen verstärken und der EU-Kommission entsprechend jährlich Bericht erstatten.
Grund waren die Ergebnisse der "Zwischenbilanz" einer hochrangigen Sachverständigengruppe Ende 2004, die zu folgendem Ergebnis kam:
"Die Europäische Union hat nicht alle festgelegten Ziele erreicht - beziehungsweise wird diese bis 2010 nicht erreichen."
Insbesondere die wirtschaftliche Leistung war weit hinter dem Ziel des durchschnittlichen Wirtschaftswachstums von 3% zurück geblieben. Zum einen waren die Wachstumsprognosen, die 2000 auf dem Höhepunkt des New-Economy-Booms Grundlage der Strategie waren, zu optimistisch. Zum anderen hatten auch viele EU-Mitgliedstaaten ihre Reformanstrengungen nicht energisch genug vorangetrieben.
Veränderte Zielsetzung
Der neue Lösungsansatz bestand darin,
- die Anzahl der Ziele zu reduzieren und die Strategie stärker auf die Förderung von Beschäftigung und Wachstum auszurichten und
- die Erfolgsaussichten durch eine weitaus stärkere und klarere Gestaltung der Partnerschaft zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten zu verbessern.
Anstelle einer ganzen Palette verschiedener politischer Leitlinien, Ziele und Berichterstattungsverfahren wurde ein Leitlinienpaket verabschiedet und zwei neue EU-weite (nunmehr bescheidenere) Ziele benannt: Eine Beschäftigungsquote von 70% und Investitionen für Forschung und Entwicklung (FuE) in Höhe von 3% des BIP sollten erreicht werden.
Die Hauptziele der Lissabon-Strategie waren nunmehr - recht verwaschen und sicherheitshalber nicht quantifiziert - ein "schneller, nachhaltiger jährlicher Wachstumsrhythmus" und "niedrige Arbeitslosenquoten".
Kommentar
Die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden zu lassen? Welch eine Hybris. Nett formuliert: Husten Sie einmal, wenn Sie keinen Hals haben. Deutlich formuliert: Großes Maul und wenig dahinter...
Das eigentliche Ziel der Lissabon-Strategie, die USA bis 2010 ein- bzw. zu überholen, wurde verfehlt. Immerhin: In den Jahren danach gelang es beim Bruttoinlandsprodukt (BIP), an den USA vorbeizuziehen, und die EU wurde tatsächlich zum wirtschaftsstärksten Raum der Welt. Das mit dem "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten" Raum verschweigen wir mal anstandshalber...
Anmerkung: Lassen Sie sich durch die BIP-Angaben in internationalen Statistiken nicht irreführen. Internationale Organisationen messen das BIP generell in US-Dollar (EU ausgenommen). Ein angenommener Gleichstand der Wirtschaftskraft zwischen den USA und der EU könnte sich also allein damit erklären lassen, dass sich der Wechselkurs US-Dollar versus Euro verändert hat.
Ein Beispiel mit fiktiven Zahlen: Im Jahr X lag der Wechselkurs exakt bei einem Euro zu einem US-Dollar; im Jahr X+1 liegt der Wechselkurs bei einem Euro zu 1,25 US-Dollar. Angenommen, das BIP der EU wäre in beiden Jahren realiter unverändert geblieben, so würde die Wirtschaftskraft der EU im Jahr X+1 in internationalen und in US-Dollar ausgewiesenen Statistiken dennoch deutlich höher als im Vorjahr ausgewiesen.