Welche Streitkräfte braucht das Land?
Die Grafik zeigt die 3 Grundbausteine (als Kugeln dargestellt), die bei jeder Streitkräfteplanung bzw. deren Bewertung zu berücksichtigen sind:
• Finanzen
• Personal
• Material
Diese Bausteine stehen in einem engen korrelierenden Zusammenhang. Jede Veränderung eines Bausteins hat zwangsläufig Auswirkungen auf die beiden anderen Bausteine. Hinzu kommen zahlreiche Einflussfaktoren (gelb unterlegte Kästen). An erster Stelle sind hier die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen zu nennen.
Optionen der Streitkräfteplanung
Dargestellt werden die beiden grundsätzlichen Varianten der Streitkräfteplanung:
- das idealtypische Verfahren, bei dem von der sicherheitspolitischen Lage ausgehend alle weiteren Parameter bis hin zum Finanzbedarf abgeleitet werden (in der Grafik links)
- das realtypische Verfahren, bei dem von der finanzpolitischen Situation ausgehend alle weiteren Parameter der jeweiligen Haushaltslage angepasst werden (in der Grafik rechts)
Oft wird in eine Mischform beider Optionen gewählt, wobei der Fantasie zur Verschleierung des gravierenden Einflusses der finanziellen Zwänge keine Grenzen gesetzt sind...
ERLÄUTERUNGEN
Um es gleich vorweg zu sagen: Es gibt kein wissenschaftlich oder militärpolitisch hinreichend fundiertes Verfahren, mit dem der Umfang von Streitkräften aufgrund von sicherheitspolitischen Analysen festgelegt werden kann. Die Frage "How much is enough?" (Wie viel ist genug?) ist so alt wie die Geschichte moderner Armeen. Die Frage wurde und wird in allen demokratischen Ländern gestellt, und sie kann in keinem Land allgemeingültig beantwortet werden.
War die Bundeswehrreform also eine völlig willkürliche Festlegung von Parametern? Sicherlich nicht, denn die in den Eckwerten der Reform festgelegten Umfangszahlen weichen von den Vorschlägen der verschiedenen Parteien und Kommissionen - im Gegensatz zur veröffentlichten Diskussion - gar nicht so entscheidend voneinander ab. Vielmehr stellt sich wieder einmal die Frage nach der Bewertung des halbgefüllten Glases Wasser: Der Optimist wird es als halb voll, der Pessimist als halb leer bezeichnen.
Übersetzt auf unser Problem heißt dies: Ein Alarmist wird potentielle Risiken all überall sehen und den Umfang der Streitkräfte so hoch als möglich ansetzen; ein "rheinischer" Optimist (et is noch immer jut jejonge) hingegen könnte geneigt sein, den Streitkräfteumfang gegen Null tendieren lassen. Ist das ganze also eher eine Gefühlssache? Sicher auch, und doch gibt es ein gewisses Koordinatensystem, das bei der Problemlösung hilfreich sein kann.
OPTIONEN
Prinzipiell sind zwei Verfahrensabläufe zur "Berechnung" von Umfang, Struktur, Ausrüstung und Ausbildung von Streitkräften denkbar - ein idealtypisches (SOLL) und ein realtypisches (IST) Verfahren.
|
Idealtypisches Verfahren | Realtypisches Verfahren | |
1. |
Analyse der sicherheitspolitischen Lage |
1. |
Analyse der finanzpolitischen Lage |
|
daraus abgeleitet: |
|
daraus abgeleitet: |
2. |
Forderungen an die Streitkräfte (Fähigkeitsprofil) |
2. |
Festlegung des Verteidigungshaushalts |
3. |
Umfang, Struktur, Ausrüstung und Ausbildung |
3. |
Umfang, Struktur, Ausrüstung und Ausbildung |
4. |
Finanzbedarf unter Berücksichtigung der Haushaltslage |
4. |
Formulierung der erreichbaren Ziele und Aufgaben |
Dreimal dürfen Sie raten, nach welchem Verfahren die deutschen Streitkräfte geplant werden... Aber gemach - bevor Sie sich aufregen oder schadensfrohlocken, so ungewöhnlich ist diese Situation gar nicht, denn:
(1) Fast alle Staaten benutzen das realtypische Verfahren, zumindest sofern es sich um demokratisch orientierte Staaten handelt.
(2) Das realtypische Verfahren ist in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Grundgesetz (GG) begründbar, denn dort steht in dem weitgehend unbekannten Artikel 87a GG (Aufstellung und Befugnisse der Streitkräfte), Absatz 1:
"Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.
Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation
müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben."
(3) Das realtypische Verfahren wurde logischerweise von allen bisherigen Regierungen angewendet, gleichgültig mit welcher Parteienkonstellation sie gebildet wurden.
FAUSTFORMELN
Wenn Sie trotz der aufgezeigten Schwierigkeiten einige Eckpunkte suchen, die Ihnen eine eigene Bewertung erleichtern können - hier sind einige für die Bundeswehr geltende Eckwerte - die interessanterweise aber auch auf die meisten anderen demokratischen Armeen der Welt anwendbar sind, gleichgültig ob sich um Freiwilligenarmeen oder Streitkräfte mit Wehrpflicht handelt.
A. Baustein Finanzen
Etwa die Hälfte der Ausgaben eines Verteidigungshaushalts muss für Personalkosten aufgewendet werden. Etwa ein Drittel der Ausgaben des Verteidigungshaushalts muss für Betriebskosten aufgewendet werden, denn wer "da" ist, muss auch versorgt werden...
Für Investitionen und Beschaffungen verbleibt nur ein relativ kleiner Teil des Haushalts von in der Regel etwa 10 Prozent.
B. Baustein Personal
Die Personalkosten machen etwa die Hälfte aller Aufwendungen aus, und zwar gleichgültig ob mit oder ohne Wehrpflicht.
Eine Armee mit Wehrpflicht kann trotz großer Personalstärke relativ "preiswert" sein, da der Wehrsold zumeist relativ gering ist.
Eine Freiwilligenarmee ist selbst bei einer deutlich verringerten Personalstärke relativ "teuer", da Berufs- und Zeitsoldaten ein höheres Gehalt erfordern. Wer also beim Einsparen klotzen will, kann dies am besten durch Personalreduzierungen tun. Die zivile Wirtschaft lässt mit ihren "Freisetzungen" grüßen...
C. Baustein Material
Militärisches Material veraltet zum einen - wie jedes Material - durch seine zeitlich begrenzte Lebensdauer, zum anderen aber besonders schnell aufgrund technologischer Sprünge (vgl. z.B. Transportflugzeug Transall und Airbus A400M).
Die durchschnittlichen Inflationsraten für Wehrmaterial liegen meist erheblich höher als die normaler Konsumgüter (Grund u.a. geringe Stückzahlen und monoindustrielle Fertigung).