Europäische Verfassung – der gescheiterte Vertrag

Struktur der gescheiterten Europäischen Verfassung

Die Struktur des Verfassungsvertrages

Die Grafik gibt einen Überblick über die Grundstruktur des Verfassungsvertrags und die ursprünglich geplanten Anteile der einzelnen Politikbereiche (Inlet-Grafik). Der exakte Titel der mehrer hundert Seiten starken Verfassung ist "Vertrag über eine Verfassung für Europa". Der endgültige Entwurf einer Europäischen Verfassung wurde nach über einjähriger Arbeit im Sommer 2003 vom Europäischen Konvent in Brüssel vorgelegt.

Siehe hierzu die interne Webseite
•  Europäische Verfassung - der Verfassungskonvent

Das weitsichtige Verfassungskonzept hatte zum Ziel, alle bestehenden Verträge aufzuheben und durch einen einheitlichen Vertragstext mit der Bezeichnung "Verfassung" zu ersetzen. Nach dem Nein der Niederländer und Franzosen in Volksabstimmungen musste dieses Ziel aufgegeben werden - und das, obwohl der Europäische Rat (die Staats- und Regierungschefs der damals 25 Mitgliedsländer) den Verfassungsvertrag im Sommer 2004 einstimmig(!) gebilligt hatte.

Zu bezweifeln ist, dass alle Teilnehmer an den Volksabstimmungen den Inhalt des Vertragswerkes wirklich kannten - und dass es ihnen wirklich um Europa ging, und nicht darum, den eigenen Regierungen einen Denkzettel zu geben...


Kernelemente der gescheiterten Europäischen Verfassung

Die Kernelemente des Verfassungsvertrags

Die Grafik verdeutlicht die institutionellen und strukturellen Reformvorhaben des Verfassungsvertrags. Die neuen Institutionen sind rot markiert. Nachfolgend sind die wichtigsten Reformvorschläge der gescheiterten Verfassung aufgelistet (glücklicherweise wurden etliche Vorschläge in den Vertrag von Lissabon übernommen).

Weiterführende externe Links


Die Eckdaten der Verfassung

Die Grundlagen
Die Einleitung beginnt mit den Worten: "Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas ...". Ein ausdrücklicher Bezug auf christliche Werte fehlt. Die europäische Charta der Grundrechte wird Bestandteil der EU-Verfassung.

Das "Gesicht" Europas
Hochrangigster Vertreter der EU ist wie bisher der Präsident des Europäischen Rates (Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten). Allerdings rotiert er nicht mehr wie bisher alle 6 Monate (sog. "Semester-Präsidentschaft"), sondern er wird für 2 1/2 Jahre (mit der Option auf eine einmalige Verlängerung) vom Europäischen Rat gewählt / bestimmt.

Die Kommission
Bis zum Jahr 2014 wird jedes Land einen Kommissar nach Brüssel entsenden. Die Kommission umfasst daher für die beiden kommenden Amtsperioden von jeweils 5 Jahren 25 Kommissare (bislang 20 Kommissare - je Mitgliedstaat einer, die fünf "Großen" stellten jeweils zwei). Um die Effizienz zu erhöhen, soll ab 2014 die Zahl der Kommissare auf zwei Drittel der Mitgliedsstaaten reduziert werden (voraussichtlich also auf 18). Im Rahmen einer "echten" Rotation sollen die Kommissare zwischen den einzelnen Ländern - unabhängig von ihrer Größe - wechseln; jedes Land ist also für fünf Jahre nicht in der Kommission vertreten.

Der Außenminister
Ein "Europäische Außenminister" übernimmt sowohl die Aufgaben des Hohen Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) (derzeit Xavier Solana) als auch jene des EU-Kommissars für Außenbeziehungen ("Doppelhut"). Er wird zugleich als Vizepräsident Mitglied der Kommission, leitet einen eigenen diplomatischen Dienst der EU und übernimmt den Vorsitz des wichtigen Rates für Außenbeziehungen.

Das Parlament
Das Europaparlament erhält mehr Kompetenzen. Im Regelfall entscheidet es bei der europäischen Gesetzgebung mit. Das Parlament muss den vom Europäischen Rat vorgeschlagenen Kommissionspräsidenten bestätigen (allerdings: bei zweimaliger Ablehnung wird dieser wie bisher vom Europäischen Rat bestimmt).

Das Abstimmungsverfahren
Im Ministerrat gilt künftig die "doppelte Mehrheit": Ein Beschluss auf der Grundlage eines Vorschlags der EU-Kommission kann nur dann gefasst werden, wenn mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, zustimmen. Konkret: Nach derzeitigem Mitglieder- und Bevölkerungsstand müssen mindestens 14 Länder mit zusammen mindestens 295 Mio. Einwohnern zustimmen. Entscheidet der Rat über eine eher unverbindliche Vorlage der EU-Kommission, so müssen 72 Prozent der Länder mit 65 Prozent der Bevölkerung zustimmen. In jedem Fall gilt eine Entscheidung nur dann als angenommen, wenn nicht mindestens vier oder mehr Länder sie ablehnen - unabhängig von der Größe dieser Länder (Sperrminorität).

Außerdem wurden folgende Zusatzklauseln vereinbart:

  • Auf einigen Gebieten, auf denen der Ministerrat einstimmig entscheiden muss, kann der Europäische Rat (ebenfalls mit Einstimmigkeit) entscheiden, dass im Ministerrat doch eine Mehrheitsentscheidung möglich ist (sog. Passarelle, französisch für Übergang).
  • Wenn ein Land ein "erhebliches nationales Interesse" gegen den Beschluss einer Mehrheit des Ministerrats ins Feld führt, kann es die endgültige Entscheidung in den Europäischen Rat schieben. Dort wird zumeist einvernehmlich entschieden ("Emergency brake" oder Notbremse).
  • Wenn eine bestimmte, kompliziert berechnete Mindestzahl von Ländern einen Mehrheitsbeschluss nicht akzeptieren kann, soll versucht werden, eine größere als die vorgeschriebene Zustimmung zu erreichen. Dafür sind keine Fristen gesetzt.

Das Veto-Recht
Es gibt künftig mehr Politikbereiche, in denen mit Mehrheit entschieden werden kann. Das Veto-Recht gilt aber weiter für die Steuerpolitik, weitgehend auch für die Außen- und Sicherheitspolitik und für die Zusammenarbeit im Bereich der Innen- und Justizpolitik. Dafür gibt es die Möglichkeit der "strukturierten Zusammenarbeit": Länder, die in bestimmten Bereichen enger kooperieren wollen, können das tun.

Das Bürgerbegehren
Wenn eine Million EU-Bürger (von im Jahr 2004 ca. 455 Millionen) mit Unterschriften ein Gesetz verlangen, muss die Kommission tätig werden.

Die Ratifizierung
Der Verfassungsvertrag wird erst wirksam, wenn alle Mitgliedsländer ihn ratifiziert, d.h. durch Parlaments- oder Volksentscheid gebilligt haben. Das sollte spätestens 2007 der Fall sein. Sollte die Verfassung bis dahin nicht überall akzeptiert sein, muss sich ein Gipfeltreffen damit befassen.

Die Austrittsmöglichkeit
Jeder Mitgliedstaat hat das Recht, aus der Europäischen Union auch wieder auszutreten. Er muss darüber allerdings Verhandlungen führen.