Die französische Initiative
Nachfolgend geben wir eine Interpretation der möglichen Beweggründe Frankreichs wieder, die sich allerdings bei der Gründung der Mittelmeerunion am 13. Juli 2008 - nicht zuletzt auf Druck Deutschlands - so nicht umsetzen ließen. Wir stellen diese Interpretation mit Stand Mitte 2007 dennoch weiterhin zur Verfügung, da sie für den geneigten Leser von generellem Interesse sein dürfte.
Die Ausgangslage
(französische Überlegungen mit Stand Mitte 2007)
"Kernländer" der neuen Union sollten werden (in der Grafik grün unterlegt) im Norden die fünf Mittelmeeranrainerstaaten
- Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland (alle EU) sowie die Türkei
und im Süden als Pendant die fünf nordafrikanischen Mittelmeeranrainerstaaten - Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten.
Die Mittelmeerunion sollte - wiederum der Ausgewogenheit wegen - eine Doppelspitze erhalten. Hier bot sich aus französischer Sicht im Norden Frankreich als Primus inter Pares an, im Süden sollte zunächst Algerien diese Aufgabe übernehmen.
Mögliche weitere Mitglieder waren die Mittelmeeranrainerstaaten des Balkan und des Nahen Ostens (Hellrot markiert). Was mit den beiden EU-Staaten und Mittelmeerinseln Malta und Zypern geschehen sollte, blieb zunächst offen.
Nachfolgend der Kommentar in zwei Versionen
1. echt bissig
Was steckte hinter dieser französischen Idee?
Zum ersten: Es war Wahlkampf, und der Vorschlag zur Gründung einer Mittelmeerunion war ursprünglich Teil des Wahlkampfes von Nicolas Sarkozy vor den französischen Präsidentschaftswahlen 2007.
Zum zweiten: Betrachten wir die Welt einmal mit den Augen einer "grande nation" - was waren die geopolitischen Überlegungen Frankreichs?
Die Bundesrepublik Deutschland - früher am Ostrand der EU gelegen - bekam mit der Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Länder in die EU "ihre" Erweiterung und damit eine Scharnierfunktion zwischen West- und Osteuropa. Was lag also näher, als auch Frankreich "seine" Erweiterung zuzugestehen?
Hier bot sich der Mittelmeerraum an. Man nehme die Mittelmeeranrainerstaaten der EU sowie die Türkei und als Pendant fünf nordafrikanische Anrainerstaaten als Kernländer der Mittelmeerunion. Man kennt sich, denn diese zehn Länder führten seit längerem den sogenannten "5+5-Dialog".
Diese Mittelmeerunion sollte - wiederum der Ausgewogenheit wegen - eine Doppelspitze erhalten (Kritiker würden das "Achse" nennen - geschenkt...). Natürlich bot sich hier im Norden unsere "grand nation" Frankreich an, und im Süden nehmen wir Algerien hinzu (war ja schließlich ohnehin mal ein französisches Departement).
Die Einbeziehung der Türkei hätte den Vorteil, das wir dieses Land (dessen Aufnahme in die EU wir ohnehin nicht wollen) nicht ganz so arg verprellen und zugleich unseren französischen Einfluss in die Schwarzmeer-Region, den Kaukasus und den Kaspischen Raum ausdehnen können.
Ähnliches gilt für Israel, wo unser Konkurrent (die andere Weltmacht USA) es ohnehin seit Jahrzehnten nicht vermag, Frieden zu schaffen. Wenn also nicht wir, wer sonst?
Mit der möglichen Einbeziehung der Mittelmeeranrainerstaaten des Balkan erhielte die Mittelmeerunion zusätzliche "Nord-Stimmen" und würde somit unser Gewicht stärken.
Bleibt noch Nordafrika, womit wir unser ohnehin nicht unbedeutendes Interessen- und Einflussgebiet im westlichen Afrika ergänzen könnten. Nicht zuletzt: Wenn wir insbesondere den nordafrikanischen Staaten unsere Rüstungsgüter, Atomkraftwerke etc. verkaufen wollen, warum sollten wir dann immer die anderen EU-Mitgliedstaaten um Erlaubnis bitten müssen? Mit einer eigenen Mini-EU würde das alles doch viel einfacher für uns...
2. politisch etwas korrekter
Die Mittelmeerunion wurde während der französischen EU-Ratspräsidentschaft auf dem EU-Gipfel in Paris am 13. Juli 2008 gegründet, allerdings in einer deutlich veränderten und reduzierten Form. Die Änderungen betrafen insbesondere die Namensgebung, die Mitgliedschaft und die Strukturen. Die französische Idee wurde als EU-Initiative verbrämt.
(1) Die Namensgebung
Ursprünglich war von französischer Seite geplant, die Organisation als "Mittelmeerunion" zu gründen (französisch: Union méditerranéenne). Dies hätte allerdings zu einer sprachlichen Assoziierung zur Europäischen Union (französisch: Union européenne) geführt. Um die Kritik daran aufzufangen wurde der Name in "Union für das Mittelmeer“ (französisch: Union pour la Méditerranée) gewählt. Umgangssprachlich wird meist die Kurzform "Mittelmeerunion" beibehalten.
(2) Die Mitgliedschaft
Ebenso wichtig war die Klärung des Status der Mitgliedschaft in der Mittelmeerunion. Ursprünglich war geplant, nicht die ganze EU, sondern nur deren Mittelmeeranrainer einzubeziehen. Die nicht am Mittelmeer liegenden EU-Mitgliedstaaten hätten somit lediglich eine Art Beobachterstatus erhalten. Dies hätte zu einer zweigeteilten EU - oder anders formuliert - zu einer "Union in der Union" mit einer sich überlappenden Doppel-Mitgliedschaft geführt.
Nicht zuletzt auf deutschen Druck wurde vereinbart, dass die Mittelmeerunion alle EU-Mitgliedstaaten umfassen sollte. Zudem wurde der Plan aufgegeben, mit der Mittelmeerunion einen türkischen EU-Beitritt zu ersetzen: Der Türkei wurde eine Garantie angeboten, dass die Gründung der Mittelmeerunion die Beitrittsverhandlungen mit der EU nicht beeinflussen werde.
(3) Die Strukturen
Waren anfangs kaum Details über Umfang, Institutionen und Inhalte der geplanten Mittelmeerunion bekannt, wurde bald deutlich, dass insbesondere das Verhältnis zwischen der Mittelmeerunion und der bereits existierenden Euro-Mediterranen-Partnerschaft (Barcelona-Prozess) geklärt werden musste. Wenn die Mittelmeerunion den Barcelona-Prozess ergänzen sollte, hätte man mit dieser Parallelität letztendlich lediglich den Aufwand verdoppelt.
Dementsprechend wurde vereinbart, dass zum einen die neue Organisation weder in Konkurrenz zur EU treten soll, sondern nur deren bestehenden Strukturen "ergänzen und bereichern" würde, und zum anderen die Ziele und Strukturen des Barcelona-Prozesses in die Mittelmeerunion übernommen werden.